Die Digitalisierung in der ambulanten Versorgung muss die Arbeitsabläufe in den Praxen sinnvoll unterstützen und entlasten, damit wieder mehr Zeit für Diagnostik und Behandlung bleibt – das fordert die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP). Potenziale und Notwendigkeit der digitalen Gesundheitsversorgung sind völlig unbestritten. Nur: Sie muss funktionieren.
Bisher sind digitale Anwendungen wie der Abgleich der Versichertenstammdaten oder die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) Zeitfresser in den Praxen und haben nur bei Krankenkassen und Arbeitgebenden für effizientere Verwaltungsabläufe und damit zu Einsparungen in Millionenhöhe geführt. Die Einführung der eAU in den Praxen verlief unter großen Problemen, weil viele eAU beispielsweise nur verzögert oder gar nicht bei den Krankenkassen ankamen. Teilweise mussten eAU zusätzlich ausgedruckt werden. Das Einlesen der Gesundheitskarten führt regelmäßig zu Abstürzen. Dieser Mehraufwand in den Praxen geht zulasten der ambulanten Versorgung.
"Statt einer wohldurchdachten Strategie führt die Politik die Digitalisierung in der ambulanten Versorgung mit der Brechstange ein. Angesichts zahlreicher technischer Pannen und Unzulänglichkeiten in der Telematik-Infrastruktur (TI) ist es nur allzu verständlich, wenn das Vertrauen der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft in die technischen Anwendungen sinkt", kritisiert Peter Andreas Staub, Vorstandsmitglied der KV RLP. "Daher ist es wichtig, die Anwendungen ausreichend zu testen, bevor sie in den Praxen eingeführt werden. Wir fordern Feldtests statt Experimente im laufenden Betrieb", so Peter Andreas Staub. Das elektronische Rezept (eRezept) soll zum 1. Januar 2024 eingeführt werden, obwohl entsprechende Feldtests wegen datenschutzrechtlicher Bedenken beim alternativen Einlöseweg per elektronischer Gesundheitskarte in den beiden Testregionen ausgesetzt werden mussten.
Schluss mit Strafandrohungen und Sanktionspolitik
Können Praxen ab dem nächsten Jahr kein eRezept ausstellen, droht ihnen nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) neben der durch das im Referententwurf des Digital-Gesetzes angedachten einprozentigen Kürzung des Honorars zusätzlich eine empfindliche Kürzung der TI-Pauschalen. Bei mindestens zwei fehlenden Anwendungen wird nach den Vorgaben des BMG gar keine Pauschale gezahlt. "Das entbehrt jeglicher fachlichen Grundlage", empört sich Psychotherapeut Peter Andreas Staub. "Es muss Schluss sein mit der Sanktionspolitik. Strafandrohungen führen nur zu einer inneren Verweigerungshaltung statt zu Akzeptanz." Ziel der Politik müsse es sein, die Ärzte- und Psychotherapeutenschaft als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Digitalisierung zu gewinnen. Erst wenn TI-Anwendungen störungsfrei einsetzbar sind, könne der Digitalisierungsprozess fortgesetzt werden.
Unerlässlich ist es aus Sicht des Vorstands der KV RLP, dass die Digitalisierung ausreichend finanziert wird und Praxen nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Die aktuelle TI-Pauschale deckt lediglich die Kosten ab, die für Einkauf und Wartung durch das IT-Dienstleistungsunternehmen entstehen. Unberücksichtigt bleiben Störungskosten, wenn Ausfälle der TI oder Mängel behoben werden müssen. So veranschlagen die IT-Anbietenden hohe Servicegebühren im Falle von Störungen und Reparaturen. Hinzu kommen unproduktive Ausfallzeiten und notwendige IT-Schulungen des Praxisteams.
Telematik-Pauschale muss den Aufwand abdecken
Durch die medizinischen Digitalisierungsprojekte wie eAU, eRezept oder die elektronische Patientenakte werden die Therapiesicherheit verbessert und bei den Krankenkassen erhebliche Kosten eingespart. Die vom BMG festgelegten monatlichen TI-Pauschalen reichen aber nicht aus, um alle in den Praxen entstehenden Kosten zu erstatten. Hier sieht die KV RLP noch deutlichen Nachbesserungsbedarf.
"Ärztlich und psychotherapeutisch Niedergelassene benötigen Sicherheit, Planbarkeit und Zusagen zur Finanzierung. Die Politik muss hier endlich ihre Hausaufgaben erledigen. Nur dann wird die Digitalisierung der ambulanten Versorgung erfolgreich verlaufen", so das abschließende Fazit von Peter Andreas Staub.
Bundesweite Aktion der Kassenärztlichen Vereinigungen
Die KV RLP veröffentlicht diese Pressemitteilung im Rahmen der bundesweiten Aktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) unter dem Titel „PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“. Bereits in den vergangenen Wochen haben alle KVen themengleiche Pressemitteilungen in ihren Bundesländern herausgegeben, um auf die akut gefährdete Situation der ambulanten Versorgung aufmerksam zu machen.
"LAHNSTEIN92 – Schluss mit Budgetierung und Bedarfsplanung!"
Die KV RLP veranstaltet am 13. September 2023 in Lahnstein bei Koblenz die Protestaktion "LAHNSTEIN92 – Schluss mit Budgetierung und Bedarfsplanung!". Sie ist Teil der Kampagne "WIR SEHEN SCHWARZ – FÜR DIE ZUKUNFT UNSERER PRAXEN."